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Ulrike Folkerts liest aus der Blechtrommel

In Westhofen begeisterten die Schauspielerin und Sprecher Clemens von Ramin ihr Publikum.

Von Sophia Rishyna

WESTHOFEN - Zu seinem 60. Geburtstag ist Günter Grass’ Jahrhundertroman „Die Blechtrommel“ noch immer aktuell, behandelt er doch Themen wie verworrene Liebe, die Gräuel des Kriegs und Vertreibung. Auch weil die Verleihung des Nobelpreises für Literatur an Grass genau 20 Jahre her ist, war es eine naheliegende Entscheidung, den ersten Literaturabend der Saison bei „Gut Leben am Morstein“ mit diesem Werk zu beginnen. Einfach nur gelesen wäre ein Roman, der zum Kanon der deutschen Nachkriegsliteratur gehört, allerdings etwas langweilig. Seit 2016 existiert daher eine Bühnenfassung für zwei Sprecher und einen Schlagzeuger, um das Werk in wohldosierten Happen dem Publikum wieder spannend zu machen. Schlagzeuger Stefan Weinzierl hatte die Idee zu dieser Version und begleitet ausgewählte Szenen mit unterschiedlichen Schlaginstrumenten, darunter Vibrafon und Marimbafon, sowie verschiedene Trommeln und elektronische Helfer.

 
Ulrike (Schlagzeug ) und Stefan Weinzierl
 
Gelesen wurden die Romanstellen vom Hamburger Sprecher Clemens von Ramin, der auch mit Werken von Thomas Mann und Joachim Ringelnatz tourt, und von Ulrike Folkerts, die seit 30 Jahren im Ludwigshafener „Tatort“ ermittelt. Die Lesung im Gewölbe von „Gut Leben am Morstein“ war gut besucht, die kalten Temperaturen draußen regten dazu an, sich eine gemütliche Veranstaltung zu suchen. Wer jedoch hoffte, die Augen schließen zu können und die Stimmen der geübten Vortragenden in Ruhe genießen zu können, wurde vom Schlagzeuger Weinzierl eines Besseren belehrt: Durch die hervorragende Akustik des Gewölbes hatte jeder Trommelschlag, mit dem man nicht unbedingt gerechnet hatte, das Potenzial den Zuhörer zu erschrecken und aus seinen Gedanken zu reißen
 
Bei der Auswahl der Szenen wurde ein Fokus auf diejenigen Passagen gelegt, die einen Bezug zum Trommeln enthielten, und es wurden die Stellen gelesen, die die Schrecken von Militarisierung und die Gefahren des Populismus offenbarten. Angefangen mit Oskar Matzeraths Geburt, bei der ein Schmetterling gegen die Glühbirnen trommelte, beschäftigte sich die Lesung mit den wichtigsten Stationen der ersten beiden Bücher der „Blechtrommel“, bis zum Umzug ins Rheinland. Der dritte Geburtstag Oskars, bei dem er endlich die ihm bei seiner Geburt versprochene Blechtrommel bekommt, durfte nicht fehlen; in der Schlüsselszene wirft sich der Protagonist an diesem Tag selbst die Treppe herunter, um sein Wachstum aufzuhalten, woraufhin er die Welt scheinbar für immer aus kindlicher Perspektive betrachten kann.
 
Neben der großen Bildsprache bestachen viele Szenen auch mit unerwartetem Humor, die das Publikum mit Lachen quittierte, so zum Beispiel bei Oskars Versuch, eine örtliche Jesus-Statue zum Trommeln zu bringen. Auch unangenehme Passagen, wie die Nachbarskinder, die Oskar eine „Suppe“ aus Urin und Ziegelsteinen trinken lassen, fehlten nicht.
Beängstigend hingegen war die Episode mit SA-Mann Meyn, der seine vier Katzen erschlägt, sowie die Kristallnacht, in der Oskars Blechtrommel-Lieferant Markus sich vergiftet.